„Immer weniger Menschen sind bereit, mehr zu tun. Aber immer mehr Menschen sind bereit, wenig zu tun.“ Für Philipp Maderthaner, Campaigning-Berater und Veranstalter des Campaigning Summit 2015 in Berlin, ist das Mitmachen im Wandel.
Wie gelingt es heute, Menschen für ein bestimmtes Anliegen zu mobilisieren? Das Campaigning Bureau und der Think Tank Polisphere e. V. wollten es wissen und hatten im Vorfeld des Campaigning Summit zum Sneak Preview ins Base_Camp eingeladen. Das Fazit:
Aufmerksamkeit erzeugen – in 3 Sekunden
Erste Herausforderung: Eine Kampagne muss schnell auf den Punkt kommen. 40 Sekunden bleiben nach Feststellung von Maderthaner, um die Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Nutzers zu halten. Das Publikum (Altersschnitt geschätzt: 32) war pessimistischer: „Höchstens drei!“. Inhalte müssen sich also überbieten an Originalität und Prägnanz, ohne Slogans und Bilder geht gar nichts.
Bezahlte Reichweite statt Schwarmromantik
Ist diese erste Hürde genommen, verbreitet sich der Inhalt zwar schnell – aber nicht notwendig auch weit genug. Ein Tweet kann in Windeseile 21 mio „Impressions“ (= Aufrufe) weltweit erzeugen, wie Moritz Klämt (Senior Account Executive, Twitter) am Beispiel von #JeSuisCharlie zeigte. Die fast schon romantische Vorstellung, dass diese virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda ausreicht, um Effekte zu erzeugen, entzauberte Klämt aber: Diese organische Reichweite („organic reach“) ist bei weitem nicht so groß wie die von bezahlten Posts („promoted posts“). Sein Fazit für Kampagnen: Es wird perspektivisch kein Weg an promoted posts vorbeiführen.
Gamification: Ja/Nein – Spiel mit!
Der digitale Nutzer will und muss jederzeit aussteigen können. Und so zerlegen Kampagnen das Engagement in kleine Schritte von Ja-Nein-Fragen. Will der Nutzer sich auf die – möglichst kurz formulierte – Frage engagieren, klickt er: „Ja“.
Das viele Klicken hat auch einen weiteren Vorteil: Es befriedigt das Bedürfnis, zu spielen. Dass diese „Gamification“ wesentlich zur Motivierung beiträgt, unterstrich auch Mathias Wasik (Digital Campaign & Social Media Manager – Amnesty International). Amnesty hatte sich das Prinzip in der Spendenkampagne „Ranhalten für die Menschenrechte“ zunutze gemacht.
Die „Ladder of Engagement“ – Das Timing muss stimmen
Den Nutzer durch Klicks geduldig von Sprosse zu Sprosse der „Ladder of Engagement“ zu bewegen, klappt nur, wenn gleichzeitig auch das Timing stimmt. Der zeitliche Abstand zwischen den Sprossen muss lang genug sein, um nicht zu starken Druck auszuüben. Die Abstände dürfen aber auch nicht so lang sein, dass das erreichte Engagement schon wieder versandet ist.
Beispiel für Timing aus der Kampagne „WIENER BLUT„, mit der das Rote Kreuz in Wien für Blutspenden geworben hatte: Nutzer, die zuvor die Frage „Können wir im Ernstfall auf dich zählen?“, bejaht hatten, wurden über die Frage: „Kannst du Blut spenden?“ in einen kurzen Online-Gesundheits-Check eingeladen. Dieser wiederum endete mit der Frage: „Können wir in den nächsten zwei Wochen mit dir rechnen?“. Erst zeitlich versetzt wurden sie gefragt: „Kannst du jetzt Blut spenden?“ – Die Kampagne konnte die Anzahl der Blutspenden immerhin um 36 % steigern.
Die ultimative Herausforderung: Wie wird aus dem User ein Ortsverband?
Bleibt die Frage: Wie wird aus dem Klick langfristiges Engagement? Vereine und politische Parteien wollen kontinuierlich Ziele verfolgen und umsetzen. Eine „lifelong user relationship“ (Nils Seger, Co-Founder Rocket Communications) reicht da nicht aus, soll der „User“ doch erst einmal Einiges einbringen, bevor er – vielleicht – etwas herausbekommt, was ihm wichtig ist.
Die Bereitschaft, sich nur kurzfristig und punktuell zu engagieren, ist für Conrad Clemens (Bundesgeschäftsführer Junge Union Deutschlands) trotzdem nur eines der Probleme. Ebenso schwer wiege, dass digitale Nutzer und die analoge Ortsverbände zwei völlig unterschiedliche Welten bewohnten: Die digitale politische Community zwischen München, Hannover und Berlin, die sich zu Themengruppen kurzschaltet, kann eben mit Ortsverbandsstrukturen, Altersgruppe häufig 60+ (das Durchschnittsalter ist in allen Parteien zurzeit 59, mit Ausnahme der Grünen, dort ist es 48) nichts anfangen. Wie aus diesen beiden Welten das Beste verzahnen? Für Clemens die Herausforderung der nächsten Jahre.
Wir wissen viel darüber, was viele Menschen motiviert, ein wenig zu tun. Was kann Menschen aber bewegen, mehr zu tun? Und welche Rolle spielt die zunehmende Kampagnenkultur dabei?
Die Kampagne wirkt – aber untergräbt die Kampagnenkultur das Mitmachen?
Dass sie zeitlich befristet sind und ein festes Ziel haben, liegt in der Natur von Kampagnen. Was aber kommt nach der Kampagne? Nach Feststellung von Conrad Clemens treten binnen fünf Jahren 25 % der Neumitglieder wieder aus. Die Zahl der „Karteileichen“ sei noch deutlich höher.
Machen die spielerischen Kampagnen die Fallhöhe zum harten Brot der täglichen Arbeit in Vereinen, Verbänden und Parteien so groß, dass da keiner mehr mitmachen will? Hat ein „User“, der spielerisches, gut getimtes, kleinteiliges und unverbindliches Engagement gewöhnt ist, erst recht keine Lust mehr, sich mit zähem Ringen um Kompromisse, langfristigen Projekten und jeder Menge Frustration herumzuschlagen? Auch wenn die einzelne Kampagne erfolgreich ist – untergräbt die „Kampagnenkultur“ aber die Bereitschaft, weiterzumachen?
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Fotos: © Petra Krings